Amselhahn

Macho Macho

Elli Nohr

Macho Macho

Er sieht umwerfend gut aus, ganz ohne Zweifel. Und so, wie er auftritt, weiß er das 

auch. Im Moment ist er allerdings überrascht. Ganz offensichtlich hat er nicht 

bemerkt, dass ich schon länger hier bin. Allerdings habe ich ihn auch nicht früher 

gesehen, er war wieder mal gut verborgen auf der Pirsch.

Wir kennen uns schon länger. Anfänglich reagierte er auf meine Anwesenheit sehr 

zurückhaltend, manchmal sogar, indem er möglichst schnell verschwand. Dann ging

ihm auf, dass ich ganz und gar hingerissen war von ihm und er deshalb Vorteile aus

dieser meiner Schwäche ziehen konnte. Er ließ also mehr Nähe zu und fing an zu

flirten, indem er mir kecke Blicke aus seinen kohlschwarzen Augen zuwarf und dabei

ungeniert vor mir badete. Auch den von mir angebotenen Leckereien sprach er 

ungehemmt zu, wobei ihn keinerlei Bescheidenheit behinderte. So kamen wir uns

langsam näher und manchmal schien er geradezu auf mich zu warten.

Heute ist das allerdings anders. Ich bin schon seit den frühen Morgenstunden im

Garten, habe gejätet und gejätet, Kompost gefahren und auf den Beeten verteilt und

was der Arbeiten im Frühling sonst noch so sind. Selbstverständlich habe ich

gesehen, dass ich mir, bevor ich wieder hinein gehe, noch eine große Schüssel voll

Erdbeeren als Belohnung pflücken kann. Und nun dies! Zuerst raschelt es im Beet,

dann kommt er heraus gehüpft, die schwarzen Federn glänzend, mit einer knallroten

Erdbeere im gelben Schnabel. Dass er erschrocken ist, sehe ich daran, dass er

knickst und kurz die Flügel spreizt, als dächte er an Flucht. Aber nun hat er mich

erkannt und schluckt erst einmal genüsslich seine Beute. 

Dann zieht er alle Register. Der schönste Amselhahn aller Zeiten legt den Kopf

schief, beäugt mich ausgiebig und ich schwöre, da ist so ein Grinsen um seinen

Schnabel. Die schwarzen Augen, deren Tiefe durch den gelben Ring darum noch

verstärkt wird, funkeln mich an. Er plustert die Federn und stelzt den Schwanz.

„Tüddelidülio“ flötet er mit seiner süßesten Stimme, während sein Blick schon wieder

begehrlich zum Erdbeerbeet geht.

Und ich dachte, er mag mich! Dabei war es nicht Zuneigung, sondern Gefräßigkeit!

Diese Erkenntnis lässt einen grimmigen Entschluss in mir reifen. „Oh nein“, sage ich

laut und entschieden, „das sind MEINE Erdbeeren!“ Er sieht mich von oben bis unten

an, duckt sich und mit einem missbilligenden und misstönenden „Tschink, tschink,

tschink, tschink“ spreizt er die Flügel und fliegt davon.

Ich habe verstanden: noch nie zuvor hat mich jemand derart deutlich „Blöde Kuh“ genannt.